AIKIDO - oder: Die Aufgabe ein eckiges Ding rund zu machen

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deck
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AIKIDO - oder: Die Aufgabe ein eckiges Ding rund zu machen

Beitrag von deck »

ich wurde gebeten ein bißchen über aikido zu schreiben,
was ich aufgrund meiner tiefen ambition nicht ausschlagen kann.
ich liebe es darüber zu philosophieren, es weiterzugeben und natürlich es selbst zu üben.

aikido ist eine sehr junge japanische kampfkunst,
die uns von Ō Sensei Morihei Ueshiba geschenkt wurde.

rein technisch gesehen ist aikido aus alten jiujitsu , aikijutsu bzw. schwerttechniken abzuleiten,
mit dem entscheidenden unterschied dass alle formen nicht mehr
tötung als zielsetzung haben.
bei längerem training bzw. anatomischen verständniss erschließt sich dem übenden
bei allen formen die frühere anwendung,
bzw. man erkennt die stellen in denen es früher schlichtweg vorbei gewesen wäre.

morihei ueshiba hat diese techniken allerdings,
aufgrund einer massiven wandlung seines weltbildes, weiterentwickelt - transformiert.
es ist dadurch dem rein defensiven aikidoka nun möglich,
einen bereits stattgefunden übergriff, eine disharmonie,
derartig zu lenken, dass weder angegriffener noch angreifer schäden davon tragen.
der kern von budo ist leben zu schützen, anstatt es zu zerstören.

ein typisches szenario:
der angreifer zielt auf das gesicht des gegners...
jetzt, ja jetzt! er schlägt zu! mitten ins ... nichts.
er verliert - während er noch erstaunt ist wieso er nichts getroffen hat -
sein gleichgewicht, in richtung des schlagimpulses und findet sich in einer sehr schnellen
direkten oder spiralförmigen bewegung zum boden wieder.
diese achterbahn endet in einem schachmatt-kontrollgriff,
der beherrschend aber nicht drohend über ihm ruht.
der kontrollgriff an sich ist nicht schmerzhaft,
wenn er sich nicht dagegen zu wehren versucht.
(es ist kontraproduktiv wütende menschen, noch wütender zu machen)
er realisiert optimalerweiße direkt danach, wie dumm es von ihm war
einen bekannten im suff wegen einer nichtigkeit so anzugreifen,...
es tut den meißten in der regel auch leid.

weder der angreifer noch der angreifende hat trotz dem,
dass es offensichtlich schon zu spät war sein gesicht verloren.
das ist eine sehr gute basis für z.b. ein klärendes gespräch,
oder wenn nötig weitere beruhigende und entschärfende gesten.

physikalische hintergründe zur wirksamkeit von aikido:
man liest immer aikido sei für jede alters, gewichts und "kraft"-klasse geeignet,
ich kann dies 50mal unterstreichen.
auf einem lehrgang hatte ich z.b. das vergnügen mit einem mind. 70 jährigen,
realativ mageren mann zu trainieren.
ich selbst bin 23 und gut in form, trotzdem haette ich im ernstfall keine chance
gegen diesen mann. er ist fähig meine kraft zu umlaufen, sie unter seine kontrolle
zu bringen und wenn nötig ohne verluste mit hinzunahme seiner kraft gegen mich zu richten.

das ist möglich indem er sich nicht gegen meine kraft richtet,
nicht auf konfrontationskurs handelt.
ein beispiel, das mit sicherheit in allen budoarten bekannt ist, im übertragenen sinne:
wenn z.b. ein rießen meteorit auf die erde zurast,
kann man 100% energie reinstecken um in direkt zu treffen und zu zerstören,
also von vorne. und hoffen das er zerbricht,
wohin die brocken dann fliegen ist eine andere geschichte...
allerdings kann man mit 5% der kraft, das ding von der seite treffen,
und es so einfach vom kurs- an der erde vorbei - bringen.

bezüglich des einstiegsalters und eignung will ich noch kurz zusammenfassen sagen,
dass der schwierigkeitsgrad nicht von 0 auf 100 springt.
jeder kann für seine maße und fähigkeiten in angemessenen tempo,
bzw. frequenz trainieren. entscheidend ist nicht wie schnell man trainiert,
sondern wie sehr man bei der sache ist. so kann sich jemand wie ich,
so paradox es klingt, auch mit langsam trainierenden leuten regelrecht auspowern.
es ist immer anstrengend, der schwerpunkt liegt nur wo anders.
aikido beinhaltet eine enorm ausgefeilte fallschule,
man kann aus jeder fallbewegung auch auf härtestem untergrund unverletzt,
wieder aufstehen. hinzukommt, dass die fallschule sogar die
kinetische fallenergie direkt für das aufstehen nutzt.

ich bin z.b. auf dem weg zu meiner freundin bei einer bahnunterführung
auf dem streifen die bei treppen die immer zum fahrrad SCHIEBEN sind,
direkt runtergefahren...
das bike war ned fit für die stufen wegen der felgen,
also der riskante weg auf dem schmalen streifen mit wenig abstand zur handführungsschiene...
naja irgendwann musste es passieren... ich bleib im unteren drittel mit dem
lenker am geländer hängen das vorderrad blockiert an einer säule und ich ...
flieeeeeeegee yeaaa ich kann flieeegen ^^
unterm flug höre ich entsetze aufschreie vor und hinter mir,
aber ich war gedanklich schon wo anders..
ich hab mich unterm flug darüber aufgeregt warum ich so dämlich war hier "hängenzubleiben" ...
währendessen bereitet sich mein kröper automatisch auf die landung vor,
die trotz betonpflaster butterweich war, ich stehe also direkt wieder auf,
sammel alles auf was am boden liegt, pack mein rad und geh stillschweigend
unter verdutzten augen die bahnunterführung zum aufgang weiter...

naja, so etwas wird im training natürlich nicht verlangt, allerdings macht dies klar,
dass konsequentes training, seine früchte trägt, und in extremsituationen abrufbar ist.
es geht sprichwörtl. in fleisch und blut über.

trainiert wird, wie ich vielleicht schon gesagt habe, immer paarweise.
man verbeugt sich voreinander, das ist keine traditionelle floskel, oder blose formalität.
man zeugt seinem trainingspartner respekt, und bedankt sich
für die möglichkeit mit ihm trainieren zu dürfen.
ein lebendes trainingsgerät, mit gefühlen, darüber muss man sich immer im klaren sein.

die techniken werden immer abwechseln mal linke seite, mal rechte seite trainiert.
dazu fällt mir folgendes ein, mein trainer hatte dazu mal folgende anekdote:
als er selbst zu trainieren begann wollte er unbedingt alles über KI erfahren,
so fragte er einen bekannten japanischen meister und schüler von osensei :
"Wie trainiere ich mein KI ?"
der meister antwortete:
"vertausche beim essen messer und gabel, und du lernst etwas über KI " ...

die haltehebel und griffe werden immer maßvoll angewandt.
alle techniken sind eine gradwanderung, zwischen zu schwach, (wirkt nicht)
und zu stark (bricht gleich), deswegen wird sobald der trainingspartner
durch abklopfen signalisiert, dass seine persönliche dehnungs bzw.
schmerzgrenze erreicht ist, sofort abgebrochen.
auf diese weiße hat man ständige dehnübungen die die eigene beweglichkeit
maßgeblich erhöhen - man kann durch das abklopfen selbst maßregeln,
sehr nette effekte auf dauer...


soweit so gut, fürs erste sollte das reichen.

es ist wahrscheinlich noch viel unklar, deswegen ein paar beispielvideos:
begründer des tendoryu-stils
stil unbekannt.. vtl aikikai
das ist NICHT der altmeister!

ich werde aber weiter einen beitrag schreiben, in welchem ich den schwerpunkt
der aufmersamkeit deutlich auf den spiriutellen aspekt von aikido lege,
da ich hier sonst den rahmen sprenge, bzw. er schlicht zu kurz kommt.
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Wingman
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Beitrag von Wingman »

Sehr interessant! Danke für diesen Einblick ins Aikido. In Budo-Künsten steckt in der Tat viel Tiefsinn, Selbstreflektion und Weisheit. Nur schade, das sie in westlichen Gefilden durch die häufige Versportlichung und Vereinsmeierei oft zu substanzlosen Gymnastikübungen verkommen sind (auf der Jagd nach Pokalen in unrealistischen Nullkontakt-Turnieren, statt Charakterbildung und realistischer Selbstverteidigung). Bei diesem Unterschied ist die Kluft zwischen Unbewußtheit / Herdenverhalten und Bewußtheit / Selbstentfaltung sehr schnell zu spüren, wenn man aufmerksam ist.
Selbsterfahrung - der kleine, aber feine Unterschied zwischen Wissen und Weisheit.
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deck
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Beitrag von deck »

hm, ich hab jez den 2.ten echt langen text verworfen...
wenns darum geht die spirituellen aspekte von aikido zu beschreiben,
dann.. ka.. das is ein fass ohne boden...
man kann über "energie" .. "führung"... oder... "liebe" und alles was es sonst so gibt reden.

aber ich lass es mal wie folgt stehen:

das "do" in aikido bedeutet "weg".
es gibt viele wege.
und alle wege führen nach rom,
aber auch zur erleuchtung.

...
das wars.
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aeternitas
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Beitrag von aeternitas »

Moin!

Ich hab selbst mal eine asiatische Kampfsportart gemacht, Ju Jutsu,
das enthält auch Elemente aus dem Aikido, bin allerdings inzwischen
viele Jahre raus und körperlich gar nicht mehr fit.

Ich hab vor, mir mal Krav Maga anzusehen, weil es dabei
angeblich keine Fitness-Vorraussetzungen gibt.
Krav Maga geht immer von der eigenen Unterlegenheit aus,
daher gibt es nur Techniken, in denen man aus einer Mißlage
entkommen muß.
Diese Kampftechnik wird unter anderem von israelischen Anti-Terror Einheiten
angewendet.

Dabei geht es nicht um schönes Aussehen der Technik, sondern nur darum, so schnell als möglich aus der Gefahr zu entkommen.



den anderen, den spirituellen Aspekt, den würd ich mir dann aus Tai Chi holen,
das hab ich auch mal gemacht.
"Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. - Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist."
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Weltenbuerger Thorsten
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Beitrag von Weltenbuerger Thorsten »

Hallöchen,

ja, Aikido ist ein sehr interessantes Kunstwerk für den KörperSeelenGeist.

Es gibt dazu ein sehr gutes Buch auf deutsch von Stefan Stenudd - Aikido, die friedliche Kampfkunst.
Dort beschreibt er die versch. Entwicklungsstufen des Aikido innerhalb der 5-Elementen-Lehre.

Ein kleiner Auszug:
Man kann das mit den Elementen der Natur vergleichen.
Der Anfänger ist in erster Linie wie Stein - unbeweglich, ange-
spannt, kantig. Dann Holz - nachgiebig, weich werdend, wenn
auch immer noch so gut wie unbeweglich. Wenn der Anfänger
endlich den panischen Griff der Füße am Boden verliert und sich
frei im Raum bewegen kann, wenn er seine Techniken genau
durch das Momentum ausführen kann, das die freie Beweglich-
keit gewährt - da ist er wie Wasser geworden.

....


Das demütigste der Elemente ist die Luft, die selbstverständ-
lich Platz für alle anderen macht. Die Luft umfängt, ohne zuerst
zu knuffen, sie fügt sich, ohne sich zuerst zu sperren. Wo das
Wasser vom ersten Augenblick seine Widerspenstigkeit offenbart,
ist die Kraft der Luft eine, die nur mit unserer eigenen Geschwin-
digkeit zunimmt. Erst wenn wir ihr trotzen, wird ihr Wesen deut-
lich für uns, und nur bis zu dem Grad, den wir selbst wählen.
Natürlich kann der Wind sowohl Menschen als auch ganze Häu-
ser niederreißen, aber er verfolgt nicht, er weht vorbei und schont
das, was sich beugt.

...


Wenn Aikido wie Luft wird, ist es nur die Kraft des An-
greifers, die auszumachen ist. Die Techniken können so dicht
sein, dass sie einen ganzen Dojo (Trainingsraum) füllen, so über-
wältigend großartig, dass die Wände beben - aber sie beinhalten
nichts Unterwerfendes. Sie lassen die Kraft des Partners frei
anstelle sie zu dämpfen.

....

Man kann an und für sich nicht
über die Luft siegen, sie schlagen oder bezwingen, aber man kann
ihrer Identität gewahr werden und sie damit herausfordern. Wenn
Aikido den Streit unmöglich machen soll, wenn es die Agression
selbst zunichte machen soll, ist die Luft keine Antwort. Was ist da
das nächste?
Vakuum. Leerer Raum hat keinen Körper, keinerlei Subs-
tanz. Trotzdem ist keine Kraft groß genug, es zu bezwingen, kein
Feuer, es zu verbrennen, keine Macht, es zu bedrohen, kein Raum
ist so groß, dass es ihn nicht füllen könnte, oder so klein, dass es
keinen Platz darin fände. Die Leere ist das einzig Unverwundbare,
und es gibt sie überall - zwischen den Himmelskörpern im Mak-
rokosmos und zwischen deb Atomen im Mikrokosmos.

...

Wenn Aikido wie leerer Raum wird, verliert der Angreifer
unmittelbar all seine Kraft, ebenso deutlich und plötzlich als wür-
den ihm die Beine unter dem Körper weggeschlagen. Der Angriff
muss ein Ziel haben - worauf soll er sonst zielen? Die Leere kann
kein Ziel sein, deshalb verliert der Angreifer seine Kraft in eben
dem Moment, da er versucht, sie gegen dieses Nichts zu richten.
Der die Leere beherrscht, braucht dem Partner nur sein Vakuum
zu zeigen, damit dieser völlig kraftlos zusammenfällt. Die weg-
gleitenden Techniken sind verschwunden, an deren Stelle öffnet
sich ein unendliches Nichts. Der Angriff stirbt im selben Augen-
blick da er eingeleitet wird.
Wenn man sein Vakuum im selben Moment zeigt, da der
Angreifer für den Angriff ansetzt, wird dieser seine Festigkeit und
seine Fahrt verlieren wie Laub im Wind. Wenn man ständig offen
ist und sein Vakuum zeigt, wird es unmöglich für andere, auch
nur an Angriff zu denken.
Ich habe einen größeren Auszug aus dem Buch als pdf hier bei mir. Wer diesen haben möchte, schreibt mir einfach eine PN. Weiß jetzt nicht, ob ich zum Übermitteln die E-Mail-Adresse brauche, falls ja, dann diese einfach mir mitteilen.

grüssle
thorsten
Vertrauen ist eine Oase des Herzens,
die von der Karawane des Denkens nie ereicht wird...
Khalil Gibran
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Sifu Taipan
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Beitrag von Sifu Taipan »

hallo,

ich trainiere selber schon 3 Jahre lang Aikido, und ich bin begeistert von dieser Kunst. Ich kann sie jeden von euch empfehlen.

Ich kann bestätigen, was ihr über den Energiefluss im Aikido schreibt. Durch die richtige Atmung und fließende Bewegungen spürt man förmlich, wie die Energie fließt.
Mein Meister legt auch besonderen Wert auf die Energiearbeit und auf die richtige Atemtechnik.

Also ich kann euch diese Kampfkunst nur empfehlen zu lernen, allerdings muss man sich vor Augen halten, dass Aikido nicht nur eine Selbstverteidigungssportart ist, die man einmal pro Woche praktiziert, sondern Aikido ist eine Lebenseinstellung. Wer also Aikido lernen will, um auf der Straße zu prügeln, möge gar nicht mit Aikido anfangen, denn er ist dieser Kunst nicht wert.
Der Mensch sieht, was er sehen will.
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